Nun läuft also die gefeierte US-Serie Homeland endlich im deutschen Fernsehen an (ausgerechnet auf SAT1, und wie üblich mit den stereotypen Synchronstimmen verdeutscht) und das Feuilleton ist ganz aus dem Häuschen. Zurecht, denn vor allem die erste Staffel von Homeland ist so spannend, dass sie zu dem verführt, was in Amerika gerne binge viewing genannt wird (die schöne Low-Budget-Serie Portlandia übrigens kennt sich damit aus…). Das nächste Level von binge viewing ist erreicht, wenn es sich bei einer Serie eigentlich um eine Adaption handelt und man meint, die Originalversion sehen zu müssen, um möglicherweise noch einmal in einen ähnlich rauschartigen Sog gezogen zu werden. Im Falle von Homeland basiert das amerikanische Remake auf dem Plot der israelischen Serie Hatufim (Prisoners of War). Die erste Staffel von Hatufim wird ab April auf Arte ausgestrahlt, so dass sich fast im Anschluss an der Ausstrahlung von Homeland beide Serien miteinander vergleichen lassen. Leider ist das die falsche Reihenfolge, denn die amerikanischen Bilder werden sich so ins Gedächtnis einbrennen, dass man Hatufim immer nur mit dieser Referenz vor dem inneren Auge sehen wird und alles irgendwie schmächtig und wenig glamourös wirken muss.

Der Vergleich beider Serien ist indes ungerecht: allein der Pilotfilm von Homeland kostete soviel wie beide Staffeln von Hatufim. Die israelische TV-Produktionslandschaft mag sich zur amerikanischen wie ein Drittligaverein zum FC Barcelona verhalten, trotzdem werden immer mehr israelische Stoffe für das US-Fernsehen adaptiert, wie zuletzt das fast identisch übernommene “In Treatment”. Gideon Raff, der Erfinder und Regisseur aller Episoden von Hatufim, konnte die amerikanischen Produzenten um Howard Gordon und Alex Gansa (verantwortlich für das revisionistische “24”) alleine mit seinem Skript für die erste Folge und keinem Meter gedrehten Film von seiner Plot-Idee überzeugen, worauf er auch als Autor und Producer für Homeland engagiert wurde.

Wo liegen die Unterschiede? Homeland hat einen extrem guten Cast mit zwei brillanten Hauptdarstellern, das wurde schon zur Genüge im Feuilleton besprochen und da kann Hatufim verständlicherweise kaum mithalten. Für mich liegt ein entscheidender Unterschied in der Figurenkonstellation. In Hatufim werden drei Familien gezeigt, die mit der Rück- oder Nichtrückkehr eines Kriegsgefangenen nach 17 Jahren Trennung umgehen müssen. Die beiden Überlebenden Nimrod und Uri stehen dabei im Mittelpunkt, aber auch das Schicksal der Schwester des vermeintlich ermordeten Kriegsgefangenen Amiel wird ausgebreitet, die ihren Bruder immer wieder an ihrer Seite sieht. Dadurch werden drei Linien gezogen, die in etwa gleichberechtigt nebeneinander durch die Geschichte führen und von einem ähnlichen Konflikt getrieben werden: der Schwierigkeit, sich nach jahrelanger Kriegsgefangenschaft in die Gesellschaft und die Familie zu reintegrieren. In Homeland dagegen konzentriert sich trotz vieler interessanter Nebencharaktere alles auf die Beziehung zwischen der CIA-Agentin Carrie Mathison und dem von al-Qaida “umgedrehten” Kriegsgefangenen Brody. Beide Figuren sind von einem extremen inneren Konflikt zerrissen und darin sich seelisch verwandt, obwohl sie zuerst als Gegner agieren. Wie diese beiden Charaktere durch seelische Verletzungen und politische Intrigen in ein Selbstmordattentat und in die Psychiatrie getrieben werden, ist atemberaubend und hat homerische Qualitäten (die FAZ weist auf dieses Leitmotiv hin: in den Namen von Brody und Mathison verstecken sich die von Odysseus und Athene).

Die ersten drei Folgen waren eine kleine Strapaze für mein politisch-korrektes Über-Ich: die arabische Welt wird ausschließlich in einem Freund-Feind-Schema dargestellt, an jeder Ecke lauert die Paranoia vor dem Islam. Dann setzt innerhalb der nächsten vier Folgen das erzählerische Geniestück ein, diese emotionale Grundatmosphäre komplett zu drehen, um in Folge 7 durch die tödlichen Auswirkungen eines Drohnenangriffs ganz auf der Seite des “Gegners” zu sein. Der Zuschauer wird – genauso wie Brody – emotional umgedreht. Die Konvertierung Brodys zum Islam ist nicht die einer Gehirnwäsche, sondern ein Akt des Überlebens in totaler Einsamkeit. Man fiebert sogar mit, wenn Brody den Finger am Auslöser seiner Sprengstoffweste hat, um den korrupten Vizepräsidentschaftskandidaten und sein Team in die Luft zu jagen. Bemerkenswert bis provokant muss für ein amerikanisches Publikum sein, dass die drei Hauptcharaktere fließend Arabisch sprechen und der baldige Kongress-Kandidat Brody zu Allah betet.

Hatufim wirkt im Vergleich zu der dramatischen Zuspitzung in Homeland etwas breit und autorenfilmmäßig. Das müsste nicht schlecht sein, wenn man Hatufim nicht anmerken würde, dass es eine geheime Sehnsucht nach dem großen Hollywood-Moment hat. Die Filmmusik emotionalisiert fast jeden Dialog, als ob man seinen eigenen Schauspielern nicht traut, und einzelne Schlussmontagen werden mit israelischen Popsongs in der Manier amerikanischer Arzt-Serien untermalt. Homeland verzichtet nicht auf illustrative Musik wie zum Beispiel The Wire, auch ist Homeland kein filmisches Ästhetik-Seminar. Homeland ist fast schon konventionell im Vergleich zu Serien wie Lost oder True Blood, deren Handlungsstränge und ausufernden Figurenkonstellationen sich labyrinthisch verzweigen, bis irgendwann niemand mehr durchblickt. In Homeland wird in beiden Staffeln immer wieder eine angenehme Komplexitätsreduktion durchgeführt in der Art einer vorläufigen Klimax, wodurch die Handlungsoptionen der Protagonisten zurückgesetzt werden. Der Fokus bleibt auf den inneren Konflikten von Carrie und Brody, in denen sich die politischen Widersprüche des War on Terror spiegeln. Gideon Raff sagte in einem Interview mit der Welt:

Wenn wir beweisen können, dass Waterboarding nicht hilft im Kampf gegen den Terror, dann lasst uns darauf verzichten. Aber was machen wir, wenn es hilft? Über diese Fragen sollten wir reden. Leute, die sagen, sie würden lieber sterben, als ihre Werte zu verraten, leben meistens nicht in existenzieller Angst.

Das spielt vermutlich auf den ehemaligen CIA-Chef und heutigen US-Verteidigungsminister Leon Panetta an, unter dem Drohnenangriffe in Pakistan intensiviert wurden  und der behauptete, dass das umstrittene Waterboarding und “enhanced interrogation techniques” zur Tötung Osama Bin Ladens beigetragen hätten. Homeland stellt zwar Verhörmethoden wie die akustische Folter in einen kritischen Kontext, aber am Ende der zweiten Staffel erscheinen die “erweiterten Verhörmethoden” der CIA durch einen Terroranschlag auf amerikanischen Boden als gerechtfertigt. Bei aller erzählerischen Brillanz und inhaltlichen Ambivalenz hinterlässt das einen faden Geschmack.

Vielleicht ist es ein falsches Dilemma, das Gideon Raff in seiner Interviewäußerung entwirft: für die USA gibt es nicht die Wahl zwischen Waterboarding (= seine Werte verraten) und dem Tod (= den Kampf gegen den Terror verlieren), denn die USA führen diesen Krieg gegen den Terror auf fremden Terrain und sehr oft mit konkreten machtpolitischen und wirtschaftlichen Interessen verknüpft, das ist keine Frage des eigenen Überlebens. Zweifelhaft ist auch das entworfene Bild vom Islam, dessen radikale Kräfte eine Unterwerfung des Westens anstreben, und sei es in 200 Jahren. Als ob ein “moralisch integrer” Westen nicht langfristig ein attraktiveres Gesellschaftsbild wären als ein religiöser Dogmatismus. Aber vielleicht lebe ich auch einfach nicht unter dieser existentiellen Angst einer permanenten islamischen Bedrohung, warum sich mir bei der Rechtfertigung von Foltermethoden der Magen umdreht. Hatufim ist in einem Punkt aufrichtiger und authentischer: für die israelische Gesellschaft stellt der Terror eine tatsächliche existentielle Gefahr dar, bei allen Schwierigkeiten, die man mit der israelischen Siedlungspolitik haben kann. In Israel ist die IDF (die israelische “Bundeswehr”) sehr tief in den Alltag integriert und verlangt den Bürgern, Männer und Frauen, weitaus mehr ab als die meisten Armeen der Welt. Unter den etwa 8 Millionen Israelis soll es rund 1500 ehemalige Kriegsgefangene geben, eine sehr hohe Zahl, was davon zeugt, dass die Probleme der späteren Integration der Soldaten nicht nur ein Randphänomen sind. Hatufim legt davon Zeugnis ab – lange nicht so irrwitzig, spannend und zugespitzt wie die attraktivere amerikanische Ausführung, aber in seiner Haltung ehrlicher und näher an der Realität, die beschrieben wird.

Bonus: da ich ein Faible für das israelische Kino habe, hier meine Best-Of-Liste an israelischen Filmen, die sich differenziert mit dem Nahost-Konflikt und den Spannungen zwischen Palästinensern und Israelis auseinandersetzen:

Paradise Now

Ajami

Beaufort

Lemon Tree

Checkpoint (absolut sehenswerter Dokumentarfilm über den Alltag an den Grenzübergängen, der inzwischen komplett auf Youtube zu sehen ist)

The Bubble

Die syrische Braut

und natürlich: Waltz with Bashir