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Dies ist die Geschichte eines Mischpults und der Musik, die durch dieses Mischpult auf eine besondere Weise zum Klingen gebracht wurde. Es ist die Geschichte von verschwitztem Rock’n’Roll und einer Ära, in der Tonstudios noch eine Aura des Heiligen hatten aufgrund der legendären Platten, die in ihnen aufgenommen wurden. Zu Beginn der 70er Jahre kauften die Betreiber des Sound City Studios in LA für 74000 US$, damals ausreichend für einen Häuserkauf, eine der weltweit an einer Hand abzählbaren Neve 8078 Konsolen des britischen Audio-Gurus Rupert Neve. In Kombination mit dem für fette Drumsounds prädestinierten Aufnahmeraum entwickelte sich Sound City zu einem der gefragtesten Musikstudios in Amerika, von Neil Young, Fleetwood Mac, Tom Petty and the Heartbreakers, Foreigner, Rick Springfield bis Barry Manilow kamen alle, um in den miefigen und chaotisch geführten Studioräumen an ihren Platten zu arbeiten, Sessions zu spielen und auch einmal “in die Ecke zu pinkeln”. Sound City stand für einen ehrlichen, unverfälschten und warmen Sound, der in den 70er Jahren auf der Höhe der Zeit war. Als sich in den 80er Jahren die Sound-Ästhetik der Pop- und Rockmusik änderte – digitale Technologie trat in den Studioalltag, Drum Machines und Sequenzer ersetzen Studiomusiker und das Spielen zu einem Clicktrack wurde zur Gewohnheit – geriet Sound City in finanzielle Schieflage, die Aufträge blieben aus, da viele der Top-Produzenten in modernere Studios abwanderten.

Anfang der 90er Jahre stand Sound City vor dem Bankrott. Die Studiomiete war so günstig wie nie, als eine damals noch unbekannte Band namens Nirvana von ihrem Label in die Sound City Studios geschickt wurde, um ihr zweites Album “Nevermind” aufzunehmen. Der Rest ist Rock-Geschichte. Dave Grohl, damals als Drummer gerade neu zu Nirvana hinzugestoßen, ist heute der Überzeugung, dass Nirvana ohne das Aufnahme-Studio Sound City nie zu ihrem Grunge-Stardom gelangt wären. Als das legendäre Studio 2011 tatsächlich Pleite ging, war er es, der das Neve-Mischpult kaufte und in das Studio der Foo Fighters schaffte. Durch ein paar Videoaufnahmen über den Transport animiert entstand die Idee, eine abendfüllende Dokumentation über das Mischpult und das Studio zu drehen. Yes: Dave Grohl hat seine erste Regiearbeit abgeliefert und dieses Jahr beim Sundance Film Festival vorgestellt. Seit Anfang Februar ist der Film “Sound City” online erhältlich.

Was kann man über Dave Grohl als Filmemacher sagen? Aus dem Blickwinkel eines Cineasten oder anspruchsvollen Dokumentarfilmers ist der Film purer Trash: Dave Grohl agiert zuerst als Interviewer, der viele der legendären Musiker, Produzenten und Techniker um das Sound City Studio befragt und in MTV-Manier zu einem bunten Bilderbogen montiert. Er ist so geflasht von seinem Thema, dass er alles in seinen Film packen will: die technischen Details der Analog-Technik, die musikgeschichtlichen Highlights der Sound City Produktionen, die persönlichen Schicksale der Studio-Angestellten, ja selbst der Kampfhund von Rick Springfield bekommt seinen Eintrag ins Poesiealbum. Nach 70 Minuten endet der historische Teil der Doku und eine andere Doku beginnt, in der Dave Grohl selber zum Mittelpunkt wird: er hat im letzten Jahr mit Mitgliedern seiner Bands Nirvana, Foo Fighters und Queens of the Stone Age mehrere der Sound City Legenden zu Sessions in sein Studio geladen, um dem Neve-Mischpult zu Ehren ein Album aufzunehmen. Der Film ist wie eine großartige Rockband ohne Produzenten als Korrektiv: sprunghaft, grob, anmaßend. Aber genau das ist vielleicht das reizvolle und sympathische an der Dokumentation: sie atmet in ihrer Vermittlung eben jenen Geist des Rock’n’Roll, den sie zum Thema hat. Und für alle Gear Slutz unter meinen Freunden ist der Film eine absolutes Muss: kaum eine Rock-Doku hat der technologischen Seite der Musik so einen hohen Stellenwert eingeräumt. Und wenn das alle Technik-Phobiker abschreckt: es gibt genügend Gänsehautmomente, wenn man mit der Grunge-Musik der 90er Jahre aufgewachsen ist und einem Bands wie Rage Against The Machine, The Pixies, Trent Reznor von Nine Inch Nails oder auch der Produzent Rick Rubin nicht vollständig egal sind.

Das Studio stand in den 90er Jahren für eine Rückbesinnung auf den ehrlichen, handwerklichen Begriff vom Musikmachen – “24 Track Mentality”, wie James Brown (der Produzent, nicht Musiker) es nennt: die kleinen Fehler und Ungenauigkeiten, die entstehen, wenn ein paar Musiker gemeinsam spielen, die 24-Spur-Bänder, die sich nur sehr mühsam im Vergleich zur digitalen Technologie editieren lassen und die Musiker dazu zwingen, Stücke in einem Take aufs Band zu bringen. “ You commit to what it is. With Pro Tools you are not forced to make decision, you don’t have to commit.” Entlang des Analog-Digital-Schismas wirken viele der Rockgrößen wie Öko-Fundies, die ihre biologisch-dynamische Landwirtschaft verteidigen. Aber neben allem wertkonservativen Analog-Fetischismus stellt Dave Grohl auch wichtige Fragen nach den sozialen Aspekten der Rockmusik, die im Zeitalter des digitalen Laptop-Studios verloren zu gehen scheinen. Mick Fleetwood sagt in der Doku: “I think the downside these days is thinking: I can do this all on my own. Yes, you can do this on your own. But you will be a much happier human being, when you do it together with other human beings. And I can garantee you that.” Bei aller Nostalgie steckt ein Wahrheitskern in solchen Aussagen: zu viel Musik wird reißbrettartig am Bildschirm entwickelt und erst danach von Musikern eingespielt, wenn überhaupt. Das Produzieren von Musik über Kontinente hinweg ist Segen und Fluch zugleich: Musiker spielen gemeinsam Songs ein, ohne sich jemals gesehen zu haben, was großartige Möglichkeiten eröffnet. Aber gleichzeitig wird das Spontane und Unwiederholbare einer Live-Session immer häufiger durch enge Produktionsetats unmöglich gemacht. Der Größenwahn des goldenen Studiozeitalters ist definitiv vorbei. Die digitale Revolution hat aber nicht nur die Produktion sondern auch die Distribution der Musik grundlegend verändert. Auf diesen zweiten Aspekt kommt Dave Grohl in seiner Doku gar nicht erst zu sprechen, denn bei dem Thema kann man sich leicht die Finger verbrennen. Die digitale Distribution von Musik hat zu einem enormen Wertverlust von Musikaufnahmen geführt, “recorded music is dead”, heißt es, oder zumindest befindet sich der Preis für aufgenommene Musik in einem “race to the bottom” und jedes Label wird sich genau überlegen, wieviel Geld es in Studioaufnahmen stecken will. Auch das ist ein wesentlicher Grund für das große “Studiosterben” im ersten Jahrzehnt der 2000er Jahre.

Muss man deswegen über die Digitalisierung lamentieren und der Meinung sein, dass früher alles besser war? Dave Grohl gibt zu Beginn seiner Doku selbst eine Antwort darauf: “When you are young you are not afraid of what comes next, you are excited by.” Digitale Technologien haben das Musikschaffen von vielen wirtschaftlichen Zwängen befreit und einen riesigen kreativen Schub verursacht, der vor allem darin liegt, dass heute so viele Musiker Zugang zum Musikmarkt haben wie nie zuvor. Das hat nicht unbedingt zu besserer Musik geführt, aber heute liegt die Punk Attitude eben nicht in ein paar Gitarrenakkorden sondern vielleicht im Wobble Bass des Dubstep oder dem nächsten heißen Scheiß. Das Studio als Instrument und kreativer Raum für Musiker ist eine “Kulturtechnik”, die auch in Zukunft relevant sein und sich mit der rechnerbasierten Produktion ergänzen wird. Heute ist für die meisten Musiker selbstverständlich, sich das beste aus beiden Welten zu nehmen, wofür beispielhaft Trent Reznor in der Doku steht. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass eine Menge junger Kids in Dave Grohl ein Vorbild sehen und ihm nacheifern werden wollen in seinem Feldzug für die gute alte Analogtechnik – so wie Dave Grohl von seinem Idol Paul McCartney inspiriert war, den er zu den Neve-Sessions als weiteren britischen Import in sein Studio einlud und der in seinem fortgeschrittenen Alter den Jungs um die Foo Fighters so richtig einheizte…

Foto von der Sound City Movie Webpage.