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Im Jahr 2011 stellte die GVL die Verteilung ihrer Einnahmen aus Leistungsschutzrechten an die Mitglieder um: von einem auf Honoraren beruhenden auf ein nutzungsbasiertes Abrechnungssystem. Für die deutschen Filmmusiker bedeutete dies erst einmal, dass sie für ihre Leistungsschutzrechte keine Ausschüttungen erhielten, denn die Meldung von Mitwirkungen an Filmmusikproduktionen war auf dem neuen Online-Portal der GVL, ARTSYS, gar nicht möglich. Seit dem 18. Juni 2014 ist diese Lücke nun endlich geschlossen. Was ist also zu tun für Filmmusiker?

Zuerst gilt folgende Einschränkung: erfasst werden können momentan nur fiktionale Filme und Serien, Dokumentationen müssen vorerst aussen vor bleiben. Die GVL will diese Werkkategorie später nachliefern, genauso wie auch Beteiligungen an Hörspielmusiken zur Zeit noch nicht gemeldet werden können. Dann gilt zu bedenken, dass durch das neue nutzungsbasierte Abrechnungssystem auch alle Mitwirkungen an länger zurückliegenden Filmproduktionen relevant werden können, sofern sie auch heute noch genutzt, sprich: gesendet und wiederholt werden. Es gilt also, im Grunde den gesamten relevanten Backkatalog an Filmmitwirkungen in das ARTSYS-System einzupflegen, auch wenn schon im alten honorarbasierten System eine Mitwirkung gemeldet wurde. Konkrete Abgabetermine für Meldungen gibt es nicht mehr, aber es gilt die Faustformel, dass eine gemeldete Beteiligung bis Juli eines Jahres gute Chancen hat, am Ende des Jahres durch die GVL vergütet zu werden.

Da auf dem ARTSYS-Portal eine Erfassung von Mitwirkungen digital geschieht, können die Nachweise über Mitwirkungen auch in Fom digitaler Files hochgeladen werden (Der Papierweg geht aber auch noch…). Für Musiker, die von Filmmusik-Komponisten für Einspielungen engagiert wurden, müsste es reichen, eine Honorarquittung oder ähnliches einzuscannen oder mit der Digitalkamera abzufotografieren. Bei Filmmusik-Komponisten ist es etwas komplexer. Grob verallgemeinert komponiert, spielt, produziert und mischt der moderne Filmkomponist den gesamten Score in Personalunion. Abhängig vom Budget einer Filmmusikproduktion werden zusätzliche Musikeinspielungen hinzugebucht, doch mit ziemlicher Sicherheit wird bei der Mehrzahl der Produktionen die Musik vom Komponisten größtenteils selber eingespielt, sei es auf akustischen Instrumenten oder als virtuelle Instrumente mit Hilfe des Computers. Das bedeutet: der Filmkomponist leitet die Tonaufnahmen, spielt solistische Parts ein und steuert auch die meisten Begleitinstrumente bei. All das sind für das Leistungsschutzrecht relevante Beteiligungen und werden durch die GVL vergütet. Diese vielfältigen Tätigkeiten des Filmkomponisten müssen nachgewiesen werden, und das geschieht über den Kompositions- und Bandübernahmevertrag, den ein Filmkomponist üblicherweise mit der Produktionsfirma abschließt. Ich habe das an ein paar Beispielen mit der GVL durchgespielt, es reichte hier die abfotografierte oder eingescannte erste Seite eines üblichen Filmmusikvertrags. Meistens steht dort ausdrücklich, dass der Komponist neben der Komposition auch ein sendefertiges Masterband abliefert, dieses produziert und einspielt. Die digitalen Nachweise können zwar auch nachträglich geliefert werden, aber ich kann nur ausdrücklich empfehlen, sich schon vorher möglichst viele Belege zusammen zu suchen, das erspart doppelten Aufwand und ist vor allem bei Serienproduktionen hilfreich, da hier mehrere Episoden gemeinsam gemeldet werden können.

Also auf zur erfolgreichen Online-Meldung:

1. Schritt: Logge dich auf dem ARTSYS-Portal mit deinem Benutzernamen und deinem Passwort ein und gehe dann zu dem Menüpunkt “Datenbank-Suche”. Dort wähle den Reiter “Filmmusik”. Jetzt befindest du dich am Eingangstor zur neuen ARTSYS Filmmusikwelt, einem neuen Interface, das irgendwann auch für alle anderen künstlerischen Kategorien des GVL-Künstlerportals eingesetzt werden soll. Klicke auf den Button “Ja, bitte wechseln zu ARTSYS Filmmusik”.

2. Schritt: Suche die Filme und Serien, an denen du beteiligt warst. Gibt es zu viele Treffer, setze den Titel des Films oder der Serie in Klammern, um nur die relevanten Suchergebnisse angezeigt zu bekommen. Die Grundeinstellung zeigt immer nur 10 Suchergebnisse an, kann aber auf bis 100 Treffer pro Seite erweitert werden, was vor allem nötig ist, wenn man für eine Serie gleich mehrere Episoden gleichzeitig melden möchte.

3. Schritt: Benutze die Merkliste, um Filme und Serien in einem Schritt gemeinsam zu melden. Falls du nur einige einzelne Filme melden willst, kann die Merkliste trotzdem hilfreich sein, um schnell auf die zu meldenden Produktionen zurückgreifen zu können. Klicke dafür links neben den Filmtiteln in die Auswahlbox und wähle dann oben rechts “Merken”. Neben dem Filmtitel in den Suchergebnissen gibt es rechts drei Symbole. Das erste Symbol ist ein Auge und es sollte blau erscheinen, was bedeutet, dass dieser Film jetzt auf der Merkliste ist. Die Merkliste erreichst du, indem du ganz oben den Menüpunkt “Gemerkt” anklickst.

4. Schritt: Die Merkliste kann jetzt alle Filme enthalten, an denen du mitgewirkt hast und die du anschließend einzeln melden möchtest. Oder die Merkliste enthält alle Episoden einer Serie, die du gemeinsam melden willst. Ich habe das so gemacht, dass ich alle Episoden einer Staffel auf die Merkliste geschaufelt habe, für die ich einen einzelnen Nachweis benötige (also der Filmmusikvertrag für die Produktion einer Serienstaffel). Die habe ich dann im “bulk” gemeldet, anschließend die Merkliste wieder freigeräumt und alle Episoden der nächsten Staffel hinzugefügt. Warum das hilfreich sein kann, erschließt sich im übernächsten Schritt. Auch für die Merkliste gilt: es werden immer nur default-mäßig 10 Titel angezeigt, falls also mehr Titel auf der Merkliste sind, muss erst immer wieder die Anzeige auf bis zu 100 Titel pro Seite erweitert werden.

5. Schritt: Jetzt kannst du auf der Merkliste entweder einen einzelnen Filmtitel auswählen und dann auf “Melden” klicken, oder, falls du einen ganzen Episodenblock einer Serienstaffel auf der Merkliste zusammengestellt hast, oben links mit dem kleinen Kästchen über den einzelnen Auswahlboxen die gesamte Seite auswählen und dann auf “Melden” klicken. Du wirst auf die Merkliste nachher immer wieder zurückkommen müssen – warum, erkläre ich gleich.

6. Schritt: Im Meldedialog siehst du, welche Titel du melden willst. Unter Punkt 2 gibst du die Art deiner Mitwirkung an. Wie oben beschrieben sind in der Regel die Mitwirkungen des Filmkomponisten vielfältig und nicht klar abzugrenzen. Die GVL erlaubt, bis zu drei Mitwirkungen je Produktion anzumelden. Für Filmkomponisten kommen wohl in den allermeisten Fällen drei Arten der Mitwirkung in Frage: Künstlerische/r Produzent/in, Instrumental-Musiker/in, und bei letzterem einmal in der Rolle des/r Solist/in sowie als Studiomusiker/in Line-up. Alle drei Arten werden bei den Ausschüttungen unterschiedlich stark gewichtet, daher ist zu empfehlen, alle Arten der Mitwirkung auch tatsächlich zu melden. Wer nur eine Art der Mitwirkung meldet, bekommt weniger Geld.

Also los geht’s: unter “Rolle” die Art der Mitwirkung auswählen, danach gegebenenfalls die “Funktion” und den “Musikbestandteil” (in der Regel “Original Score”). Welches Instrument man als Solist oder Instrumental-Musiker auswählt, ist laut GVL eigentlich unerheblich, es gibt dort keine Unterschiede in der Bewertung. Die Mitwirkung als Solist wird allerdings höher bewertet als die des Instrumental-Musikers. Wer mit Musikern gearbeitet hat, die durch ihr Spiel und ihre Interpretation den Score auf besondere Weise geprägt haben, sollte den Part des Solisten dem entsprechenden Studiomusiker überlassen. Erinnert eure Studiomusiker daran, dass sie von nun an auch ihre Mitwirkungen an den Filmmusik-Produktionen auf dem ARTSYS-Portal anmelden können. Unter Punkt 2 fehlt nun nur noch die Angabe des Aufnahmejahrs, danach kann unter Punkt 3 der Nachweis hochgeladen werden. Ganz unten wird mit dem Button “Meldung(en) speichern” der Anmeldeprozess abgeschlossen.

7. Schritt: Um die drei verschiedenen Arten der Mitwirkung zu melden, musst du jetzt Schritt 6 zweimal wiederholen und jeweils die nächste Rolle (also Künstlerische/r Produzent/in oder Instrumental-Musiker/in, dann jeweils Solist/in oder Studiomusiker/in Line-up) eintragen. Hier hilft die Merkliste, da man von hier aus den Anmeldevorgang von neuem starten kann, ohne noch mal die Produktion suchen zu müssen. Übrigens sieht man jetzt rechts neben jedem gemeldeten Titel ein blaues Figuren-Symbol, was anzeigt, dass man eine Mitwirkung für den Film oder die Serie gemeldet hat. Das €-Zeichen bedeutet nicht, dass hier bereits eine Vergütung ausgeschüttet wurde, sondern dass eine Sendemeldung der GVL vorliegt, d. h. hier kann mit einer Ausschüttung gerechnet werden.

Wer nicht durchsteigt: es gibt unter “Fragen” ein ausführliches FAQ, wo die meisten hier angesprochenen Punkte auch erklärt werden. Darüber hinaus kann man die GVL auch einfach anrufen und ausquetschen (Telefonnummer am Boden der ARTSYS-Filmmusikseite). Da das Portal brandneu ist, ist man dort, glaube ich, sehr dankbar für Feedback und Kritik.

Amazon-Gründer Jeff Bezos kauft die Washington Post, eine “Ikone des investigativen Journalismus”, und alle Welt versucht, seine strategischen Absichten zu entschlüsseln. Ist er so überzeugt von seiner digitalen Vision, dass er mit einer innovativen Online-Strategie die Washington Post bald wieder in den schwarzen Zahlen sieht? Oder sucht er nur nach journalistischem Content, den er über seine Kindle-Lesegeräte vertreiben kann? Oder ist er eher auf die paperboys der Washington Post scharf, auf das Vertriebssystem, das sich hervorragend in AmazonFresh integrieren ließe, dem eigenen Konkurrenzunternehmen zu den alteingesessenen Postzustellern? Oder ist es vielleicht ein sentimentaler Zug, um seinen Kindern etwas von historischem Wert zu hinterlassen, denn immerhin hat sich Bezos die Washington Post als Privatperson und nicht als Amazon-CEO unter den Nagel gerissen? Oder ist es doch der schnöde Zukauf von Einfluss, den der neue Herausgeber Jeff Bezos über editorials in der Washington Post auf die Hauptstadtpolitik gewänne?

imagesAn all dem mag was Wahres dran sein, aber es verkennt das machiavellische Kalkül hinter der Strategie von Jeff Bezos. Um dieses Kalkül besser zu verstehen, lohnt es sich, einen Blick auf die amerikanische Serie “House of Cards” über den Politikbetrieb Washingtons zu werfen, in der der Niedergang des amerikanischen Journalismus in der Gestalt einer sehr eng an die Washington Post angelehnten Zeitung namens “Washington Herald” thematisiert wird. Frank Underwood ist ein von Kevin Spacey mit echsenhafter Präzision gespielter Politiker der Demokraten, der für die Ausweitung seiner Machtposition ein kompliziertes Netz aus Abhängigkeiten strickt. Die Medien instrumentalisiert er für seine Interessen virtuos, indem er gezielt Informationen an die junge, aufstrebende Reporterin Zoe Barnes des fiktiven “Washington Herald” weitergibt, die ihrer eigenen Karriere willens die Intrigen Underwoods mitspielt und Sex gegen eine gute Story eintauscht. Quid pro quo: in “House of Cards” wird der beltway journalism Washingtons als ein schmutziger Handel portraitiert, in dem jeder Reporter sein letztes Hemd für einen scoop gibt und Regierungsangehörige die politische Berichterstattung für die gezielte Manipulation der öffentlichen Meinung ausnutzen (wie geschehen bei der kritiklosen Stimmungsmache durch die Washington Post für den anstehenden Irak-Krieg 2003).

MargaretCar-e1360339621855Die grobkörnige Darstellung des amerikanischen Journalismus in “House of Cards” wurde von manchen kritisiert (etwa hier, hier oder aus feministischer Sicht hier), doch macht es viel mehr Sinn, die Figuren der Serie nicht nach ihrer psychologischen Glaubwürdigkeit zu beurteilen, sondern sie als metaphorische Repräsentanten des Medienwandels zu sehen. Die junge Reporterin Zoe Barnes verkörpert danach nichts geringeres als “das Internet”, deren schärfste Waffe das Smartphone ist. Als ihr Chefredakteur sie beleidigt, nachdem sie eine Beförderung zur Korrespondentin für das Weiße Haus ablehnt, zieht sie ihr iPhone wie ein Schwert aus der Tasche und droht ihm: “Remember, these days, when you’re talking to one person, you’re talking to a thousand.” Innerhalb von Stunden hat sie ihre Twitter-Follower mobilisiert und den Chefredakteur unter Druck gesetzt. Dieser wird von der Herausgeberin, die in der Serie mehr als offensichtlich an die frühere Washington-Post-Herausgeberin Katharine Graham angelehnt ist, zum Rapport bestellt. Zu seiner Verteidigung sagt der Chefredakteur zu seiner Herausgeberin:

“Zoe Barnes, Twitter, blogs, enriched media — they’re all surface, they’re fads. They aren’t the foundation this paper was built on and they aren’t what will keep it alive. We have a core readership that thirsts for hard news. Those are the people I work 80 hours a week for. And I won’t be distracted by what’s fashionable.”

Wenn daraufhin die Herausgeberin dem Chefredakteur seine Entlassung zur Unterschrift vorlegt, ist das nicht nur der Sieg einer jungen Reporterin über ihren sexistischen Vorgesetzten, sondern auch das Eingeständnis, dass journalistische Integrität und sauberes fact checking sich den neuen medialen Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie und eines minütlichen Nachrichtenzykluses unterzuordnen haben. Die Drehbuchautoren von “House of Cards” lassen keinen Zweifel daran, wo sie die Zukunft des Journalismus verorten: mit dem Segen ihres Mentors Frank Underwood heuert Zoe Barnes bei einem Online-Magazin namens “Slugline” an, das wie ein Hybrid aus Politico, Huffington Post und Buzzfeed erscheint. Nachrichten werden im Nachtbus auf dem iPhone geschrieben und augenblicklich ohne redaktionelle Prüfung auf die Titelseite des Online-Mediums gehievt. Auf “Slugline” müssen die Geschichten den nötigen grit und edge haben, um die hippe Chefin des Online-Portals nicht zu langweilen – was nichts anderes ist als ein Euphemismus für SEO-optimierte Texte, deren Schlagzeilen möglichst viele Pageviews erzeugen. Der fiktive “Washington Herald” spielt im weiteren Verlauf der Serie keine Rolle mehr.

Welchen Bedeutungsverlust die traditionellen amerikanischen Qualitätsblätter im Vergleich zu den neuen Onlinemedien hinnehmen mussten, lässt sich schon am Preisschild ablesen, mit dem sie in den letzten Jahren verramscht wurden. Die New York Times verkaufte kürzlich den Boston Globe für 70 Million Dollar, nachdem sie 1993 1.1 Milliarden Dollar für das gleiche Blatt auf den Tisch gelegt hatte. Die 250 Millionen Dollar, die nun Jeff Bezos für die Washington Post überweist und die vermutlich nur etwa einen Prozent seines geschätzten Vermögens ausmachen, übersteigen mit großer Wahrscheinlichkeit den tatsächlichen Wert der Zeitung. Die einmal zweitwichtigste Zeitung der USA und die bedeutendste Informationsquelle über die mächtigste Regierung der Welt hat aufgehört, in irgendeiner Form noch von wirtschaftlicher Relevanz zu sein. Währenddessen konnte die Huffington Post als Onlinemedium einen Preis von 315 Millionen Dollar erzielen, ganz zu schweigen von den Milliardensummen, die für Dienste wie Instagram gezahlt werden. Warum also hat Jeff Bezos sich ausgerechnet am garage sale überholter Tageszeitungen beteiligt und nicht in ein “Slugline” – a.k.a. das heißeste neue Online-Portal – investiert?

Die Antwort ist einfach: politische Macht. Man muss sich Jeff Bezos als Geistesverwandte des hintertriebenen Politikers Frank Underwood aus “House of Cards” vorstellen. Beide legen keinen Wert auf schnelle monetäre Gewinne. Im Zentrum ihrer Strategie steht der langfristige Machtgewinn durch Eliminierung aller möglichen Gegner und die Schaffung von “schlafenden” Abhängigkeiten, die im richtigen Moment für die eigenen Interessen ausgespielt werden. Für das eine übergeordnete Ziel des Machtgewinns werden finanzielle Opfer billigend in Kauf genommen. Frank Underwood beschreibt in der Serie seinen Abscheu für einen Politiker, der den höheren Stellenwert von Macht gegenüber Geld nicht verstanden hat, mit Worten, die auch von Jeff Bezos stammen könnten:

“Such a waste of talent. He chose money over power – in this town, a mistake nearly everyone makes. Money is the McMansion in Sarasota that starts falling apart after 10 years. Power is the old stone building that stands for centuries.”

Genauso könnte man auch Amazons Strategie des Wachstums vor Profitabilität beschreiben. Jeff Bezos ist nicht an Gewinn interessiert, sondern nur an der äußerst aggressiven Ausweitung von Anteilen in den verschiedensten Märkten. Wer glaubt, Jeff Bezos habe die Washington Post gekauft, weil er sich in irgendeiner Weise für die Inhalte von Journalismus erwärme, ist vermutlich auch so naiv zu glauben, Amazon wäre jemals an einer vielfältigen und literarisch anspruchsvollen Buchkultur gelegen. Mit kühler, neoliberaler Präzision bastelt Amazon daran, die gesamte Verwertungskette des Buchhandels unter seine Kontrolle zu bringen, von der Betreuung des Autors bis zum Versand und der Zustellung der Bücher. Aber nicht nur der Buchhandel ist durch die gnadenlose Zwangsrabattpolitik Amazons erpresst worden: inzwischen befindet sich der ganze stationäre Einzelhandel in einem mörderischen Preiskrieg mit dem Online-Händler. Die Waffen Amazons in diesem Preiskrieg: teilweise unmenschliche Arbeitsbedingungen in den Logistikzentren des Versandhändlers, die Umgehung nationaler Steuergesetze (nicht nur in Europa sondern auch in den USA) und die Bildung monopolartiger Strukturen wie beispielsweise im Bereich der eBooks, die die Kunden im Kindle-Universum gefangen halten.

All das produziert natürlich jede Menge Gegenwind. Umso wichtiger wird es für Jeff Bezos, die Nähe der Politik zu suchen, um die Gesetzgebung zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Bisher fiel er nicht durch übermäßig große Spenden an Politiker auf. Ausnahme sind die 2.5 Millionen Dollar, die er gemeinsam mit seiner Frau in seinem Heimatstaat Washington (“dem anderen Washington”) für ein Gesetz zur Legalisierung der Homosexuellenehe beisteuerte. Ob die Gründe für die großzügige Spende in einer herzerweichenden Email einer Mitarbeiterin lagen, oder nicht doch auch Kalkül waren, um sich bei den regierenden Demokraten im Bundesstaat Washington für die Ablehnung eines Gesetzes zu bedanken, das die Reichsten des Bundesstaates höher besteuert hätte, bleibt dahin gestellt. Dass aber Amazon im regen Kontakt mit Regierungsstellen steht, wurde spätestens klar, als Amazon vor drei Jahren den Stecker für die Server der Plattform Wikileaks zog, als die Whistleblower-Plattform zu ungemütlich wurde. In diesem Jahr wurde dann bekannt, dass Amazon über die nächsten 10 Jahre nicht nur cloud computing für den CIA bereitstellt, sondern seine Cloud-Dienste sogar innerhalb der Datenzentren des CIA installiert – ein klarer Bruch mit bisherigen Linie von Amazon, die sich gegen sogenannte private clouds richtete. Man kann nur erahnen, wie eng die Kooperation mit der NSA ist. Amerikanische Buchhändler reagierten verbittert und zynisch, als Barak Obama ausgerechnet in einer Lagerhalle Amazons den Versandhändler als vorbildlichen Arbeitsplatzbeschaffer lobte. Und das nur wenige Tage, nachdem mit Hilfe des Department of Justice Preisabsprachen zwischen Apple und den Verlegern gekippt wurden und damit Amazons desaströse Rabattpolitik den staatlichen Segen erhielt.

Wie wird also Jeff Bezos reagieren, wenn seine eigene Zeitung, die Washington Post, die aggressive Expansionspolitik Amazons kritisch unter die Lupe nehmen wird? Mit großer Wahrscheinlichkeit würde er das tun, was Frank Underwood an seiner Stelle auch tun würde: gar nichts. Er würde die Journalisten ihre Artikel schreiben lassen und der Zeitung weiterhin genügend Geld überweisen, damit sie trotz fehlendem Geschäftsmodell überleben kann. Denn er hat der demokratischen Partei schon allein durch den lebensrettenden Kauf der Washington Post den größten Gefallen getan: das Mitte-Links-Blatt war trotz des Trommelns für den Irakkrieg schon immer ein wichtiges Sprachrohr der Demokraten gewesen, und in den letzten Jahren fungierte es zunehmend als Gegengewicht zum konservativen Politico. Über die Jahre aber wird Bezos dafür sorgen, dass auch Stimmen in der Washington Post das Wort erteilt bekommen, die auf seiner libertären Linie eingeschworen sind. Und während andere Zeitungen sterben, wird die Washington Post neben der New York Times als eine der wenigen bundesweiten Nachrichtenorgane von Relevanz verblieben sein. Bei einem zukünftigen Versuch der gesetzlichen Regulierung irgendeines der vielen Geschäftsfelder Amazons wird es sich als großer strategischer Vorteil herausstellen, mit der Washington Post die öffentliche Meinung zu Gunsten des Versandhändlers beeinflussen zu können. Durch diese “schlafende” Abhängigkeit entsteht ein Machtzuwachs, der sich in viel mehr Geld auszahlen wird als in den lächerlichen 250 Millionen Dollar, die Jeff Bezos jetzt in die Washington Post investiert hat. Vielleicht erleben wir irgendwann einen “Washington Post Blackout” als Protest gegen ein Anti-Monopol-Gesetz, das als Angriff auf die freie Meinungsäußerung in den editorials der Zeitung verzerrt wird? Man wird dann auf den Kauf der Washington Post durch Jeff Bezos zu Recht als das Erdbeben zurückblicken, dessen Tragweite damals nicht wirklich erkannt wurde.

2011-04-20 16.32.07Yay, darauf muss man erst einmal kommen: Evgeny Morozov, eloquenter und scharfsichtiger Internet-Skeptiker, erklärte in einem Interview für den Guardian, dass er sein Smartphone und sein Routerkabel in einen mit Timer versehenen Safe legt, um sich ungestört von der vernetzten Welt in Bücher und Artikel vertiefen zu können. Er sperrt sogar alle Schraubenzieher in den Safe, die er bräuchte, um den Timer zu umgehen. In seinen Worten vermeidet er dadurch den inneren Kampf mit der dauernden Versuchung, online zu gehen. Seine Willenskraft verwendet er lieber auf seine Arbeit. Nicholas Carr nahm diese Aussage zur Gelegenheit, etwas die Nase zu rümpfen über dieses suchtartige Verhalten eines offensichtlichen “webaholics”, was er als weiteren Beleg für seine These aus seinem Buch “The Shallows” nimmt, dass das Internet unsere Fähigkeit zur konzentrierten Lektüre und tiefergehender Gedankenarbeit vermindert. Morozov brauchte keine 16 Minuten, um auf den Blog-Post von Carr mit einem Kommentar zu antworten (er muss zu dem Zeitpunkt seinen Safe nicht genutzt haben…). Nach ein paar Erklärungen und Rechtfertigungen von Seiten Morozovs zu seinem Online-Verhalten entspinnt sich ein hochinteressanter Streit zwischen beiden über die Verwendung des Begriffs “das Netz”. Morozov wirft Carr eine netz-zentristische Sicht und “Essentialismus” vor, während Carr linguistische Haarspaltereien in Morozov’s “close reading” seiner Argumente sieht.

Man muss dazu wissen, dass beide hier einen akademischen Hahnenkampf um die Deutungshoheit als Internet-Skeptiker ausfechten. Evgeny Morozov verriss 2010 Carr’s Buch “The Shallows” in einer Review, worauf sich Carr mit einigen kritischen Worten zu Morozov’s neustem Buch “To Save Everything Click Here” revanchierte. Beide sind sehr smarte Analysten und Kritiker der Netzwerkgesellschaft, die weitaus mehr intellektuelles Futter anzubieten haben als Netzavantgardisten wie Clay Shirky oder Jeff Jarvis – ganz zu schweigen von Frank Schirrmacher, der sich gerne die Krone des Netzkritikers in Deutschland aufsetzt. Morozov tut seiner Sache aber keinen Gefallen, wenn er auf ganz unironische Weise auf Carr’s Blog-Post mit rechthaberischer Zurechtweisung reagiert, um später auf Twitter zu verkünden, er habe Nicholas Carr niedergerungen.

“To Save Everything Click Here” ist schon seit langem vorbestellt und müsste die nächsten Tage eintrudeln, aber irgendwie kann ich mich nicht mehr so richtig auf das Buch freuen, seitdem Morozov als dickköpfiger Besserwisser erscheint, dem es eher darum geht, eine Diskussion zu “gewinnen” als leicht abweichende intellektuelle Positionen neben seinen zu akzeptieren.

Das vernetzte Hörspiel

0307_RadioZukunft_FernkopieAnlässlich des Festivals “Radio Zukunft. Tage der Audiokunst” in der Berliner Akademie der Künste vom 7. bis 10. März 2013 habe ich mir ein paar Gedanken gemacht. Mit dem Festivalleiter Oliver Sturm und dem Autoren Heiko Martens gab es in diesem Winter lange Gespräche über die Zukunft des Hörspiels in der digitalen Welt. Heiko hatte schon im November letzten Jahres seine Ideen in dem Text “Medientransformation – Ein Impuls” sehr wortgewandt zum Ausdruck gebracht. Unter dem Titel “Das vernetzte Hörspiel” (PDF) habe ich seine Gedanken weitergesponnen und bin auf “10 Thesen zur Zukunft des akustischen Erzählens” gekommen. Darin stelle ich die grundsätzliche Frage, was wir Radiomacher da eigentlich tun, wenn wir Hörspiele, Features oder akustische Kunst produzieren. Ich bin der Meinung, dass wir akustische Erzähler sind. Wenn wir uns so begreifen, müssen wir uns fragen, unter welchen medialen Bedingungen wir unsere Zuhörer erreichen. Da diese Bedingungen sich gerade radikal verändern, sollten wir akustische Erzähler auf diesen Wandel kreativ reagieren. Ohne Wurzeln im Netz zu schlagen werden akustische Erzählungen keine Zukunft haben. Wie dieses vernetzte Hörspiel aussehen wird, beeinflussen wir heute durch unsere künstlerischen Entscheidungen.

Heiko Martens und ich präsentieren einige unserer Ideen am Freitag, den 8. März, um 14:55 Uhr in der Akademie der Künste unter dem Titel “Digitales Manifest”. Ob wir wirklich ein brauchbares Manifest zustande bringen, kann ich allerdings noch nicht versprechen… Am Samstag dann um 14:00 Uhr stelle ich gemeinsam mit Ingo Kottkamp, Redakteur beim Deutschlandradio Kultur, mein Feature “Pasted! Wir sind die Zukunft der Musik” vor. Für mich ist das Feature ein Beispiel für transmediales Erzählen, welches eine der möglichen Strategien sein kann, mit der sich Hörspiele und Features im vernetzten medialen Raum des Internets integrieren lassen. Wichtig ist mir auch, dass die Inhalte des Features über ein interaktives Interface in sozialen Netzwerken teilbar sind und verlinkt werden können. Dafür habe ich mit Sebastian Hilger von 7talents einen Webplayer entwickelt, der das Feature navigierbar macht und mit vielen zusätzliche Texten und Hintergrundinformationen unterfüttert. Der Webplayer funktioniert übrigens auch sehr gut auf Tablets, da er in HTML5 programmiert wurde. Online gehen wir mit der Seite www.pasted-radio.de ein paar Tage nach dem Festival in der Akademie, aber das Interface wird schon bei der Präsentation am Samstag zu sehen sein. Sobald die Seite freigeschaltet ist, werde ich hier noch einmal darauf hinweisen.

Für alle, die keine Zeit haben, meinen langen Text zu lesen – hier die Tl;dr-Kurzfassung:

Hörspiele, Features, Radiokunst, Reportagen und Lesungen sind akustisches Storytelling. Das akustische Erzählen ist die Kunst des Radios. Das Radio schafft mit der Produktion akustischer Erzählungen kulturelle Güter von bleibendem Wert, deren Währung die Aufmerksamkeit ist. Lineare Sendeschemata werden unter den Bedingungen des Medienwandels zum Feind des Zuhörens. Zeitsouveränes Zuhören kann nur online stattfinden. Das Internet ist kein programmbegleitendes Medium. Es wird zum Medium und der technischen Infrastruktur, über die Radio empfangen wird. Die Medienkonvergenz rechtfertigt daher den Rundfunkbegriff nicht mehr. Um dem sich verändernden Rezeptionsverhalten zu folgen, müssen akustische Erzählungen über das Internet verfügbar gemacht werden: on-demand, und für immer. Dafür ist ein zentrales Internet-Portal für akustische Erzählungen erforderlich. Radio wird zur Plattform, auf der Kontexte hergestellt werden und die Hörer ihr Programm selbst zusammenstellen können. Die Programmurheber müssen für ihre Inhalte angemessen vergütet werden. Das vernetzte Hörspiel ist eine Art des akustischen Erzählens, die erst noch erfunden werden muss, aber eine zeitgemäße Antwort auf den Medienwandel darstellen könnte.

Lese den ganzen Text hier!

Bildschirmfoto 2013-02-17 um 4.00.01 PM

2007 produzierte Adam Curtis für die BBC die dreiteilige Dokumentations-Reihe “The Trap“, deren erster Teil “F**k You Buddie” den Einfluss der sogenannten Spieltheorie auf die Entstehung des modernen kapitalistischen Menschenbildes beschreibt, wonach das egoistische Vorteilsstreben des Einzelnen gesamtgesellschaftlich zu mehr Wohlstand führen soll. Es ist von John Forbes Nash die Rede, dessen paranoides Misstrauen gegenüber anderen Menschen zur Entwicklung der spieltheoretischen Grundlagen beitrug, und der in der RAND Corporation seine Ideen in den Dienst der Strategien des Kalten Kriegs stellte (Nashs Leben wurde in “A Beautiful Mind” verfilmt). Es wird der Einfluss Friedrich Hayeks auf das aktuelle neoliberale Weltbild beschrieben, das staatliche Eingriffe und Regulierungen ablehnt und die Gesellschaft in einem durch natürlichen Egoismus erzeugten Gleichgewicht sieht. Liest man die Synopsis von “F**k You Buddie” oder schaut sich die Dokumentation von Adam Curtis an, so drängen sich erstaunliche Parallelen zu den Argumenten auf, die Frank Schirrmacher in seinem neuen Buch “Ego: Das Spiel des Lebens” anführt.

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Ich habe das Buch nicht gelesen – es erscheint erst morgen -, aber es verspricht, einige wichtige Gedanken anzustoßen. Im Kern geht es um eine mathematisch modellierte Gesellschaft, in der sich die Macht von demokratisch legitimierten Regierungen in Richtung eines Informationskapitalismus verschiebt, der ideologisch in den egoistischen Spieltheorien des Kalten Krieges verwurzelt ist. Paradigmatisch hierfür steht der algorithmische Hochgeschwindigkeitshandel des Finanzmarkts, für dessen volkswirtschaftliche Schäden die Steuerzahler aufkommen müssen.

Zu hoffen ist, dass Schirrmachers Buch nicht ähnlich verschwörungstheoretisch daher kommt wie die Dokumentationen von Adam Curtis. Curtis’ hoch-suggestiver Montagestil aus BBC-Archivmaterial vermag zwar so einige Konspirations-Schauer zu erzeugen, auch erscheint der Argumente-Remix aus vordergründig entfernten Disziplinen auf den ersten Blick inspirierend. Aber bei genauerer Betrachtung wirken viele Zusammenhänge konstruiert und lückenhaft. Die aktuelle Dokumentations-Reihe von Adam Curtis aus dem Jahr 2011 macht das besonders deutlich: “All Watched Over By Machines Of Loving Grace“. Der Themenmix der ersten Folge könnte eine direkte Inspiration für Frank Schirrmacher sein: der mitleidlose “rationale Objektivismus” der Schriftstellerin Ayan Rand, die Rolle ihres Anhängers Alan Greenspan während der Finanzkrisen der letzten zwei Jahrzehnte, die Lewinsky-Affäre von Bill Clinton und die Califonian Ideology des Silikon Valley werden zu einem wackeligen Ursache-Wirkung-Zusammenhang verwoben.
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So steil die Thesen von Adam Curtis auch sind, so liefern sie doch attraktives Gedanken- und Augenfutter. “All Watched Over By Machines Of Loving Grace” verdanke ich zum Beispiel ein Zitat von Carmen Hermosillo aus dem Jahr 1994, die unter dem Pseudonym Humdog in Chatrooms und Internetforen postete und mit dem Text “pandora’s vox: on community in cyberspace die damals einsetzende Kommerzialisierung der Online-Kommunikation anprangerte. Ihre Beschreibung des “Zur-Ware-Werdens” persönlicher Daten und der Entstehung neuer Hierarchien durch die Informationsansammlung in den Händen weniger monopolistischer IT-Unternehmen liest sich heute so aktuell wie vor 19 Jahren und fügt sich sicherlich nahtlos in Frank Schirrmachers aktuelles Buch:

i have seen many people spill their guts on-line, and i did so myself until, at last, i began to see that i had commodified myself. commodification means that you turn something into a product which has a money-value. i created my interior thoughts as a means of production for the corporation that owned the board i was posting to, and that commodity was being sold to other commodity/consumer entities as entertainment. that means that i sold my soul like a tennis shoe and i derived no profit from the sale of my soul.

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Dies ist die Geschichte eines Mischpults und der Musik, die durch dieses Mischpult auf eine besondere Weise zum Klingen gebracht wurde. Es ist die Geschichte von verschwitztem Rock’n’Roll und einer Ära, in der Tonstudios noch eine Aura des Heiligen hatten aufgrund der legendären Platten, die in ihnen aufgenommen wurden. Zu Beginn der 70er Jahre kauften die Betreiber des Sound City Studios in LA für 74000 US$, damals ausreichend für einen Häuserkauf, eine der weltweit an einer Hand abzählbaren Neve 8078 Konsolen des britischen Audio-Gurus Rupert Neve. In Kombination mit dem für fette Drumsounds prädestinierten Aufnahmeraum entwickelte sich Sound City zu einem der gefragtesten Musikstudios in Amerika, von Neil Young, Fleetwood Mac, Tom Petty and the Heartbreakers, Foreigner, Rick Springfield bis Barry Manilow kamen alle, um in den miefigen und chaotisch geführten Studioräumen an ihren Platten zu arbeiten, Sessions zu spielen und auch einmal “in die Ecke zu pinkeln”. Sound City stand für einen ehrlichen, unverfälschten und warmen Sound, der in den 70er Jahren auf der Höhe der Zeit war. Als sich in den 80er Jahren die Sound-Ästhetik der Pop- und Rockmusik änderte – digitale Technologie trat in den Studioalltag, Drum Machines und Sequenzer ersetzen Studiomusiker und das Spielen zu einem Clicktrack wurde zur Gewohnheit – geriet Sound City in finanzielle Schieflage, die Aufträge blieben aus, da viele der Top-Produzenten in modernere Studios abwanderten.

Anfang der 90er Jahre stand Sound City vor dem Bankrott. Die Studiomiete war so günstig wie nie, als eine damals noch unbekannte Band namens Nirvana von ihrem Label in die Sound City Studios geschickt wurde, um ihr zweites Album “Nevermind” aufzunehmen. Der Rest ist Rock-Geschichte. Dave Grohl, damals als Drummer gerade neu zu Nirvana hinzugestoßen, ist heute der Überzeugung, dass Nirvana ohne das Aufnahme-Studio Sound City nie zu ihrem Grunge-Stardom gelangt wären. Als das legendäre Studio 2011 tatsächlich Pleite ging, war er es, der das Neve-Mischpult kaufte und in das Studio der Foo Fighters schaffte. Durch ein paar Videoaufnahmen über den Transport animiert entstand die Idee, eine abendfüllende Dokumentation über das Mischpult und das Studio zu drehen. Yes: Dave Grohl hat seine erste Regiearbeit abgeliefert und dieses Jahr beim Sundance Film Festival vorgestellt. Seit Anfang Februar ist der Film “Sound City” online erhältlich.

Was kann man über Dave Grohl als Filmemacher sagen? Aus dem Blickwinkel eines Cineasten oder anspruchsvollen Dokumentarfilmers ist der Film purer Trash: Dave Grohl agiert zuerst als Interviewer, der viele der legendären Musiker, Produzenten und Techniker um das Sound City Studio befragt und in MTV-Manier zu einem bunten Bilderbogen montiert. Er ist so geflasht von seinem Thema, dass er alles in seinen Film packen will: die technischen Details der Analog-Technik, die musikgeschichtlichen Highlights der Sound City Produktionen, die persönlichen Schicksale der Studio-Angestellten, ja selbst der Kampfhund von Rick Springfield bekommt seinen Eintrag ins Poesiealbum. Nach 70 Minuten endet der historische Teil der Doku und eine andere Doku beginnt, in der Dave Grohl selber zum Mittelpunkt wird: er hat im letzten Jahr mit Mitgliedern seiner Bands Nirvana, Foo Fighters und Queens of the Stone Age mehrere der Sound City Legenden zu Sessions in sein Studio geladen, um dem Neve-Mischpult zu Ehren ein Album aufzunehmen. Der Film ist wie eine großartige Rockband ohne Produzenten als Korrektiv: sprunghaft, grob, anmaßend. Aber genau das ist vielleicht das reizvolle und sympathische an der Dokumentation: sie atmet in ihrer Vermittlung eben jenen Geist des Rock’n’Roll, den sie zum Thema hat. Und für alle Gear Slutz unter meinen Freunden ist der Film eine absolutes Muss: kaum eine Rock-Doku hat der technologischen Seite der Musik so einen hohen Stellenwert eingeräumt. Und wenn das alle Technik-Phobiker abschreckt: es gibt genügend Gänsehautmomente, wenn man mit der Grunge-Musik der 90er Jahre aufgewachsen ist und einem Bands wie Rage Against The Machine, The Pixies, Trent Reznor von Nine Inch Nails oder auch der Produzent Rick Rubin nicht vollständig egal sind.

Das Studio stand in den 90er Jahren für eine Rückbesinnung auf den ehrlichen, handwerklichen Begriff vom Musikmachen – “24 Track Mentality”, wie James Brown (der Produzent, nicht Musiker) es nennt: die kleinen Fehler und Ungenauigkeiten, die entstehen, wenn ein paar Musiker gemeinsam spielen, die 24-Spur-Bänder, die sich nur sehr mühsam im Vergleich zur digitalen Technologie editieren lassen und die Musiker dazu zwingen, Stücke in einem Take aufs Band zu bringen. “ You commit to what it is. With Pro Tools you are not forced to make decision, you don’t have to commit.” Entlang des Analog-Digital-Schismas wirken viele der Rockgrößen wie Öko-Fundies, die ihre biologisch-dynamische Landwirtschaft verteidigen. Aber neben allem wertkonservativen Analog-Fetischismus stellt Dave Grohl auch wichtige Fragen nach den sozialen Aspekten der Rockmusik, die im Zeitalter des digitalen Laptop-Studios verloren zu gehen scheinen. Mick Fleetwood sagt in der Doku: “I think the downside these days is thinking: I can do this all on my own. Yes, you can do this on your own. But you will be a much happier human being, when you do it together with other human beings. And I can garantee you that.” Bei aller Nostalgie steckt ein Wahrheitskern in solchen Aussagen: zu viel Musik wird reißbrettartig am Bildschirm entwickelt und erst danach von Musikern eingespielt, wenn überhaupt. Das Produzieren von Musik über Kontinente hinweg ist Segen und Fluch zugleich: Musiker spielen gemeinsam Songs ein, ohne sich jemals gesehen zu haben, was großartige Möglichkeiten eröffnet. Aber gleichzeitig wird das Spontane und Unwiederholbare einer Live-Session immer häufiger durch enge Produktionsetats unmöglich gemacht. Der Größenwahn des goldenen Studiozeitalters ist definitiv vorbei. Die digitale Revolution hat aber nicht nur die Produktion sondern auch die Distribution der Musik grundlegend verändert. Auf diesen zweiten Aspekt kommt Dave Grohl in seiner Doku gar nicht erst zu sprechen, denn bei dem Thema kann man sich leicht die Finger verbrennen. Die digitale Distribution von Musik hat zu einem enormen Wertverlust von Musikaufnahmen geführt, “recorded music is dead”, heißt es, oder zumindest befindet sich der Preis für aufgenommene Musik in einem “race to the bottom” und jedes Label wird sich genau überlegen, wieviel Geld es in Studioaufnahmen stecken will. Auch das ist ein wesentlicher Grund für das große “Studiosterben” im ersten Jahrzehnt der 2000er Jahre.

Muss man deswegen über die Digitalisierung lamentieren und der Meinung sein, dass früher alles besser war? Dave Grohl gibt zu Beginn seiner Doku selbst eine Antwort darauf: “When you are young you are not afraid of what comes next, you are excited by.” Digitale Technologien haben das Musikschaffen von vielen wirtschaftlichen Zwängen befreit und einen riesigen kreativen Schub verursacht, der vor allem darin liegt, dass heute so viele Musiker Zugang zum Musikmarkt haben wie nie zuvor. Das hat nicht unbedingt zu besserer Musik geführt, aber heute liegt die Punk Attitude eben nicht in ein paar Gitarrenakkorden sondern vielleicht im Wobble Bass des Dubstep oder dem nächsten heißen Scheiß. Das Studio als Instrument und kreativer Raum für Musiker ist eine “Kulturtechnik”, die auch in Zukunft relevant sein und sich mit der rechnerbasierten Produktion ergänzen wird. Heute ist für die meisten Musiker selbstverständlich, sich das beste aus beiden Welten zu nehmen, wofür beispielhaft Trent Reznor in der Doku steht. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass eine Menge junger Kids in Dave Grohl ein Vorbild sehen und ihm nacheifern werden wollen in seinem Feldzug für die gute alte Analogtechnik – so wie Dave Grohl von seinem Idol Paul McCartney inspiriert war, den er zu den Neve-Sessions als weiteren britischen Import in sein Studio einlud und der in seinem fortgeschrittenen Alter den Jungs um die Foo Fighters so richtig einheizte…

Foto von der Sound City Movie Webpage.

Homeland, und alle so: yeah!

Nun läuft also die gefeierte US-Serie Homeland endlich im deutschen Fernsehen an (ausgerechnet auf SAT1, und wie üblich mit den stereotypen Synchronstimmen verdeutscht) und das Feuilleton ist ganz aus dem Häuschen. Zurecht, denn vor allem die erste Staffel von Homeland ist so spannend, dass sie zu dem verführt, was in Amerika gerne binge viewing genannt wird (die schöne Low-Budget-Serie Portlandia übrigens kennt sich damit aus…). Das nächste Level von binge viewing ist erreicht, wenn es sich bei einer Serie eigentlich um eine Adaption handelt und man meint, die Originalversion sehen zu müssen, um möglicherweise noch einmal in einen ähnlich rauschartigen Sog gezogen zu werden. Im Falle von Homeland basiert das amerikanische Remake auf dem Plot der israelischen Serie Hatufim (Prisoners of War). Die erste Staffel von Hatufim wird ab April auf Arte ausgestrahlt, so dass sich fast im Anschluss an der Ausstrahlung von Homeland beide Serien miteinander vergleichen lassen. Leider ist das die falsche Reihenfolge, denn die amerikanischen Bilder werden sich so ins Gedächtnis einbrennen, dass man Hatufim immer nur mit dieser Referenz vor dem inneren Auge sehen wird und alles irgendwie schmächtig und wenig glamourös wirken muss.

Der Vergleich beider Serien ist indes ungerecht: allein der Pilotfilm von Homeland kostete soviel wie beide Staffeln von Hatufim. Die israelische TV-Produktionslandschaft mag sich zur amerikanischen wie ein Drittligaverein zum FC Barcelona verhalten, trotzdem werden immer mehr israelische Stoffe für das US-Fernsehen adaptiert, wie zuletzt das fast identisch übernommene “In Treatment”. Gideon Raff, der Erfinder und Regisseur aller Episoden von Hatufim, konnte die amerikanischen Produzenten um Howard Gordon und Alex Gansa (verantwortlich für das revisionistische “24”) alleine mit seinem Skript für die erste Folge und keinem Meter gedrehten Film von seiner Plot-Idee überzeugen, worauf er auch als Autor und Producer für Homeland engagiert wurde.

Wo liegen die Unterschiede? Homeland hat einen extrem guten Cast mit zwei brillanten Hauptdarstellern, das wurde schon zur Genüge im Feuilleton besprochen und da kann Hatufim verständlicherweise kaum mithalten. Für mich liegt ein entscheidender Unterschied in der Figurenkonstellation. In Hatufim werden drei Familien gezeigt, die mit der Rück- oder Nichtrückkehr eines Kriegsgefangenen nach 17 Jahren Trennung umgehen müssen. Die beiden Überlebenden Nimrod und Uri stehen dabei im Mittelpunkt, aber auch das Schicksal der Schwester des vermeintlich ermordeten Kriegsgefangenen Amiel wird ausgebreitet, die ihren Bruder immer wieder an ihrer Seite sieht. Dadurch werden drei Linien gezogen, die in etwa gleichberechtigt nebeneinander durch die Geschichte führen und von einem ähnlichen Konflikt getrieben werden: der Schwierigkeit, sich nach jahrelanger Kriegsgefangenschaft in die Gesellschaft und die Familie zu reintegrieren. In Homeland dagegen konzentriert sich trotz vieler interessanter Nebencharaktere alles auf die Beziehung zwischen der CIA-Agentin Carrie Mathison und dem von al-Qaida “umgedrehten” Kriegsgefangenen Brody. Beide Figuren sind von einem extremen inneren Konflikt zerrissen und darin sich seelisch verwandt, obwohl sie zuerst als Gegner agieren. Wie diese beiden Charaktere durch seelische Verletzungen und politische Intrigen in ein Selbstmordattentat und in die Psychiatrie getrieben werden, ist atemberaubend und hat homerische Qualitäten (die FAZ weist auf dieses Leitmotiv hin: in den Namen von Brody und Mathison verstecken sich die von Odysseus und Athene).

Die ersten drei Folgen waren eine kleine Strapaze für mein politisch-korrektes Über-Ich: die arabische Welt wird ausschließlich in einem Freund-Feind-Schema dargestellt, an jeder Ecke lauert die Paranoia vor dem Islam. Dann setzt innerhalb der nächsten vier Folgen das erzählerische Geniestück ein, diese emotionale Grundatmosphäre komplett zu drehen, um in Folge 7 durch die tödlichen Auswirkungen eines Drohnenangriffs ganz auf der Seite des “Gegners” zu sein. Der Zuschauer wird – genauso wie Brody – emotional umgedreht. Die Konvertierung Brodys zum Islam ist nicht die einer Gehirnwäsche, sondern ein Akt des Überlebens in totaler Einsamkeit. Man fiebert sogar mit, wenn Brody den Finger am Auslöser seiner Sprengstoffweste hat, um den korrupten Vizepräsidentschaftskandidaten und sein Team in die Luft zu jagen. Bemerkenswert bis provokant muss für ein amerikanisches Publikum sein, dass die drei Hauptcharaktere fließend Arabisch sprechen und der baldige Kongress-Kandidat Brody zu Allah betet.

Hatufim wirkt im Vergleich zu der dramatischen Zuspitzung in Homeland etwas breit und autorenfilmmäßig. Das müsste nicht schlecht sein, wenn man Hatufim nicht anmerken würde, dass es eine geheime Sehnsucht nach dem großen Hollywood-Moment hat. Die Filmmusik emotionalisiert fast jeden Dialog, als ob man seinen eigenen Schauspielern nicht traut, und einzelne Schlussmontagen werden mit israelischen Popsongs in der Manier amerikanischer Arzt-Serien untermalt. Homeland verzichtet nicht auf illustrative Musik wie zum Beispiel The Wire, auch ist Homeland kein filmisches Ästhetik-Seminar. Homeland ist fast schon konventionell im Vergleich zu Serien wie Lost oder True Blood, deren Handlungsstränge und ausufernden Figurenkonstellationen sich labyrinthisch verzweigen, bis irgendwann niemand mehr durchblickt. In Homeland wird in beiden Staffeln immer wieder eine angenehme Komplexitätsreduktion durchgeführt in der Art einer vorläufigen Klimax, wodurch die Handlungsoptionen der Protagonisten zurückgesetzt werden. Der Fokus bleibt auf den inneren Konflikten von Carrie und Brody, in denen sich die politischen Widersprüche des War on Terror spiegeln. Gideon Raff sagte in einem Interview mit der Welt:

Wenn wir beweisen können, dass Waterboarding nicht hilft im Kampf gegen den Terror, dann lasst uns darauf verzichten. Aber was machen wir, wenn es hilft? Über diese Fragen sollten wir reden. Leute, die sagen, sie würden lieber sterben, als ihre Werte zu verraten, leben meistens nicht in existenzieller Angst.

Das spielt vermutlich auf den ehemaligen CIA-Chef und heutigen US-Verteidigungsminister Leon Panetta an, unter dem Drohnenangriffe in Pakistan intensiviert wurden  und der behauptete, dass das umstrittene Waterboarding und “enhanced interrogation techniques” zur Tötung Osama Bin Ladens beigetragen hätten. Homeland stellt zwar Verhörmethoden wie die akustische Folter in einen kritischen Kontext, aber am Ende der zweiten Staffel erscheinen die “erweiterten Verhörmethoden” der CIA durch einen Terroranschlag auf amerikanischen Boden als gerechtfertigt. Bei aller erzählerischen Brillanz und inhaltlichen Ambivalenz hinterlässt das einen faden Geschmack.

Vielleicht ist es ein falsches Dilemma, das Gideon Raff in seiner Interviewäußerung entwirft: für die USA gibt es nicht die Wahl zwischen Waterboarding (= seine Werte verraten) und dem Tod (= den Kampf gegen den Terror verlieren), denn die USA führen diesen Krieg gegen den Terror auf fremden Terrain und sehr oft mit konkreten machtpolitischen und wirtschaftlichen Interessen verknüpft, das ist keine Frage des eigenen Überlebens. Zweifelhaft ist auch das entworfene Bild vom Islam, dessen radikale Kräfte eine Unterwerfung des Westens anstreben, und sei es in 200 Jahren. Als ob ein “moralisch integrer” Westen nicht langfristig ein attraktiveres Gesellschaftsbild wären als ein religiöser Dogmatismus. Aber vielleicht lebe ich auch einfach nicht unter dieser existentiellen Angst einer permanenten islamischen Bedrohung, warum sich mir bei der Rechtfertigung von Foltermethoden der Magen umdreht. Hatufim ist in einem Punkt aufrichtiger und authentischer: für die israelische Gesellschaft stellt der Terror eine tatsächliche existentielle Gefahr dar, bei allen Schwierigkeiten, die man mit der israelischen Siedlungspolitik haben kann. In Israel ist die IDF (die israelische “Bundeswehr”) sehr tief in den Alltag integriert und verlangt den Bürgern, Männer und Frauen, weitaus mehr ab als die meisten Armeen der Welt. Unter den etwa 8 Millionen Israelis soll es rund 1500 ehemalige Kriegsgefangene geben, eine sehr hohe Zahl, was davon zeugt, dass die Probleme der späteren Integration der Soldaten nicht nur ein Randphänomen sind. Hatufim legt davon Zeugnis ab – lange nicht so irrwitzig, spannend und zugespitzt wie die attraktivere amerikanische Ausführung, aber in seiner Haltung ehrlicher und näher an der Realität, die beschrieben wird.

Bonus: da ich ein Faible für das israelische Kino habe, hier meine Best-Of-Liste an israelischen Filmen, die sich differenziert mit dem Nahost-Konflikt und den Spannungen zwischen Palästinensern und Israelis auseinandersetzen:

Paradise Now

Ajami

Beaufort

Lemon Tree

Checkpoint (absolut sehenswerter Dokumentarfilm über den Alltag an den Grenzübergängen, der inzwischen komplett auf Youtube zu sehen ist)

The Bubble

Die syrische Braut

und natürlich: Waltz with Bashir